Projekt
Bereits seit 2014 experimentierte das gamelab.berlin intensiv mit Virtual Reality (VR) und verschiedenen damit zusammenhängenden Technologien. Für den Tag der offenen Baustelle im neu errichteten Berliner Schloss bzw. Humboldt Forum im März 2015 wurde eine ganz besondere Anwendung der Technologie konzipiert. Ziel sollte es sein, die Besucher zu einem außrordentlichen Erlebnis einzuladen, das verschiedene Fragen zu Raum und Wahrnehmung sowie Realität und Virtualität thematisieren sollte. Dazu wurden fünf Oculus Rift Virtual Reality Headsets beschafft – zu dieser Zeit noch das Developer Kit 2 – und mit den speziellen Stereokamera-Aufbauten ovrVision ergänzt. Beide Geräte wurden mit einem leistungsstarken Notebook verbunden, dass in einem Rucksack auf dem Rücken getragen werden konnte. Die Nutzer wurden so in die Lage versetzt, sich völlig frei und ohne hinderliche Kabel im Raum zu bewegen.
Die Stereokameras projizierten ihr Bildsignal direkt auf die Bildschirme des VR-Headsets. So wurde es möglich, eine Augmented Reality Erfahrung zu erzeugen, da die Träger*innen des Headsets sich über die Kameras in ihrer Umgebung orientieren, greifen und laufen konnten. Immer dann, wenn eine spezielle Markierung ins Blickfeld geriet, wurde an der entsprechenden Stelle ein virtuelles, dreidimensionales Objekt eingeblendet. So integrierten sich virtuelle Objekte nahtlos in den physischen Raum. Durch die spezielle Technik war es aber auch möglich, von dieser Wahrnehmung in eine reine VR-Sequenz zu springen, die den Nutzer aus dem physischen Raum entführte. Für alle fünf parallel einsetzbaren Headsets waren studentische Hilfskräfte abgestellt, die den Nutzer*innen halfen, sie ggf. sicherten und Fragen beantworteten.
Forschung
Inhaltlich wurden vier verschiedene Objekte bzw. Erfahrungen geschaffen, die jeweils mit einer optischen Markierung auf einer mobilen Plexiglasplatte verknüpft waren. Nach dem Aufsetzen des VR-Headsets erlebten die Nutzer*innen zunächst ihre Umgebung und den eigenen Körper neu: Die Darstellung des eigenen Blicks im VR-Headset erzeugte dabei einen verfremdenden, von vielen aber auch als faszinierend beschriebenen Effekt. Mit der im Verhältnis zu den Augen ein paar Zentimeter weiter vorne liegenden Kameraposition trat zudem eine ungewohnte Hand-Augen-Distanz ein, die für Greifbewegungen neu gelernt werden musste. Mit dem Griff nach der ersten Plexiglasplatte und dem Blick auf diese entstand dort langsam ein virtuelles Modell des Schlosses, das sich Schritt für Schritt und Bauelement für Bauelement ausfaltete. Die Nutzer*innen konnten das Modell durch Greifen, Drehen und Kippen der Plexiglasplatte aus allen Perspektiven frei betrachten – wie ein physisches Objekt. Damit wurde die erste Frage nach den Raumverhältnissen aufgeworfen: Die Nutzer*innen befanden sich in der Baustelle des Schlosses, das Modell zeigte gleichzeitig das fertige Gebäude von außen und dennoch war es als dreidimensionaler Architekturplan die Voraussetzung für den Bau selbst. Zudem sehen die Nutzer*innen gleichzeitig das virtuelle Modell in der physischen Umgebung, als wäre es ein Teil davon. So wird die Frage aufgeworfen und erlebbar gemacht, inwiefern Virtualität wirklich ein Abbild der Realität darstellt, oder nicht vielmehr auch zu ihrem Vorbild werden kann. Nach ein paar Schritten durch den Raum wurde die nächste Platte gefunden und aufgenommen. Hier entspann sich eine längere und komplexere Animation. Diese thematisierte verschiedene Formen von Raum, wie den geometrischen Raum, den Informationsraum, den medialen Raum, den Weltraum und den relationalen Raum. Zunächst hebt sich eine geodätische Kuppel aus der Platte und füllt langsam ihre Flächen aus, bis sie aussieht wie eine weiß bespannte Radarkuppel, von der Impulse auszugehen beginnen. Die Kuppel hebt sich daraufhin aus der Platte empor und schwebt über dieser als Kugel. Diese ändert daraufhin langsam ihre Oberfläche und wird zu einer Erdkugel, die zu rotieren beginnt. Langsam wird es Nacht auf dieser Erde, sie verdunkelt sich und zeigt nur die leuchtenden Städte. Berlin als aktueller Aufenthaltsort wird mit einem leuchtenden Punkt hervorgehoben und langsam entspannen sich Lichtlinien von diesem Zentrum aus in alle Himmelsrichtungen und verbinden sich mit den 20 größten Städten der Welt zu einem globalen Netzwerk. Mit dieser Abschlusssequenz wird die intendierte globale Vernetzung des Humboldt Forums thematisiert, welches ein offener Raum zur Vernetzung für alle Kulturen werden soll. Nach dieser Raum-Fahrt und entsprechenden Fragen und Antworten mit der Begleitperson gingen die Nutzer*innen weiter im Raum herum, bis sie die vorerst letzte Platte auf dem Boden fanden. Der Blick auf die Platte nun ließ plötzlich ein heftiges Feuer entstehen, das bis in Personenhöhe hochschlägt. Die Nutzer*innen wurden nun aufgefordert, ihre Angst vor dem virtuellen Feuer zu überwinden und es mit einem Fuß auszutreten. Das klappte tatsächlich, da der Fuß die optische Struktur der Markierung auf der Platte für die Kamera durchbricht und das Feuer somit verschwindet. Hier vermischen sich Wahrnehmung und Wissen sowie Intention und Konsequenz auf ungewöhnliche Weise. Zuletzt zückten die studentischen Betreuer*innen nach Aufklärung und auf expliziten Wunsch der Nutzer*innen noch eine besondere Karte: Der Blick auf die darauf befindliche Markierung zeigte jedoch kein in die physische Welt eingeblendetes virtuelles Objekt mehr, sondern katapultierte die Nutzer vollständig in eine virtuelle Welt. Das zuvor auf der Platte verkleinert und von außen dargestellte Modell baute sich nun um die Nutzer*innen in Originalgröße auf, so dass diese in einem der Innenhöfe zu stehen kommen. Daraufhin werden sie emporgehoben und treten einen Rundflug um das Schloss an. Damit endet die VR-Erfahrung.
Ergebnisse
Im Anschluss wurden die Nutzer*innen gebeten, einen kurzen Fragebogen auszufüllen, um die Eindrücke zu evaluieren. Insgesamt nahmen ca. 1500 Personen an zwei Tagen an der VR-Erfahrung teil, ca. 300 füllten den Fragebogen aus. Die Rückmeldungen waren sehr positiv in Bezug auf den Unterhaltungsfaktor und es wurden viele Potentiale der Technologie für die Zukunft gesehen und gewünscht. Das Projekt wurde 2018 anlässlich der Internationalen Touristik Messe erneut am Stand des Humboldt Forums gezeigt.
Projektmitglieder
Christian Stein
Matthäus Oelschläger
Lucca Scaramuzzino
Partner
Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss